Emotional und eindringlich
Bericht vom 12.03.2020
Schon das dritte Mal veranstaltete der Förderverein der Stadtbibliothek Nidda einen Abend, der das Schicksal von Menschen zum Thema hatte! Dieses Mal wurde die Deportation ethnisch Deutscher aus Rumänien in die Lager der Sowjetunion 1945 anhand von Bildern, einem Vortrag, Gedichten und einem Film, in dem Zeitzeugen zu Wort kommen, präsentiert!
Die Veranstaltung wurde unterstützt von „Demokratie Leben“, einem Programm des Bundesfamilienministeriums. In Rumänien wurde die Recherche von der deutschsprachigen „Hermannstädter Zeitung“ ebenfalls unterstützt! Zu Beginn der Veranstaltung, die mit einem Gedicht aus den Lagern, vorgetragen von Mia Kast, eröffnet wurde, war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt! Offensichtlich hat das Thema „Deportation“ viele neugierig gemacht. Im Anschluss begrüßte Frau Laura Lobo Masaro in Vertretung der Leiterin der Stadtbibliothek die Gäste und stellte das Programm vor, welches auch sofort nach diesen einführenden Worten weiterging.
Lothar Schelenz berichtete zur Historie und den Umständen der Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion. Alle Frauen zwischen 18 und 30 Jahren und Männer zwischen 17 und 45 Jahren mussten in die Lager nach Russland, wobei Schwangere und Frauen mit Kindern unter 1 Jahr die Ausnahme bildeten! Die Kollektivierung allen Eigentums der zurückgebliebenen in Siebenbürgen und Banat war ein weiterer schwerer Einschnitt in das Leben der Deutschen in Rumänien. In einer Art Kollektivschuld mussten die Menschen auf Befehl Stalins für die Zerstörungen der Deutschen Wehrmacht in Russland büßen. Lothar Schelenz trug im Anschluss an den Vortrag zur Historischen Sicht auf die „Deportation“ zusammengestellte Texte aus Briefen, die er in Rumänien recherchierte, emotional und eindringlich vor.
Im Gemeindesaal herrschte eine aufmerksame Stille, in den Augen mancher Zuhörer konnte man Tränen erkennen. Das lag wohl auch daran, dass viele Zuhörer aus betroffenen Familien anwesend waren! Die Deportation der rumäniendeutschen Minderheit nach Russland hat sich im Kollektivgedächtnis der Betroffenen festgesetzt. Die in den 85 Arbeitslagern entstandenen, teilweise mit Kohle gezeichneten und gemalten Bilder, die an die Leinwand geworfen wurden, verstärkten die Eindringlichkeit des Vortrages. Die Bilder wurden bewusst nicht an den Vortrag angepasst, wie Schelenz mitteilte, man wollte die Irrationalität der Lagerhaft darstellen.
Der Abend zum Thema Deportation wurde beendet mit einem Kurzfilm, in dem Betroffene zu Wort kamen und einem Gedicht von Oskar Pastior, der das Fremdsein nach der Rückkehr aus dem Lager Kirov Rog im Donbas thematisierte, emotional und sehr eindringlich von Michael Stock vorgetragen.
Zum guten Gelingen des Vortragabends trugen der gesamte Vorstand des Fördervereins sowie Wolfgang Müller und Daniel Schelenz als Verantwortliche für die Bilder und die Technik maßgeblich bei! Der Förderverein der Stadtbibliothek Nidda bedankt sich ganz besonders bei der Ev. Kirchengemeinde Nidda sowie bei allen anderen Unterstützern für die große Hilfe bei der Realisierung des anspruchsvollen Abends!
Bild: Lothar Schelenz
Brüder Sadinam diskutieren mit Jugendlichen des Gymnasiums Nidda
Die Brüder Sadinam, als Kinder mit der Mutter aus dem Iran geflohen, lesen in Nidda aus ihrem Buch "Unerwünscht" und diskutieren mit Jugendlichen des Gymnasiums.
NIDDA - "Ich habe Ihr Buch ,Unerwünscht' mit Spannung gelesen!", sagte die Leiterin der Niddaer Stadtbibliothek, Kathleen Kmetsch, an die Brüder Masoud und Mojtaba Sadinam gewandt. Der dritte Bruder Milad ist Co-Autor, aber bei den Lesungen nicht dabei. In der Tat schildert das Buch anschaulich die Flucht der Familie aus dem Iran, wo die Eltern politisch verfolgt wurden, das Ankommen in Deutschland, die Stolpersteine, die der Familie in den Weg gelegt wurden, aber auch die solidarischen Hilfen (der Kreis-Anzeiger berichtete). Der Vorsitzende des Fördervereins der Stadtbibliothek, Lothar Schelenz, hat die Brüder nach Nidda geholt.
Morgens gab es eine Lesung für drei Klassen der Jahrgangsstufe 10 des Gymnasiums Nidda. Sie wurden vom Leiter des Fachbereichs Gesellschaften, Matthias Modricker, dem Fachsprecher Jürgen Schubert und weiteren Lehrkräften begleitet. "Wir möchten vermitteln, was es bedeutet, neun Jahre lang ,Flüchtling' zu sein und in ständiger Unsicherheit zu leben", sagten die Brüder. Sie hatten fünf Abschnitte ihres Buches gewählt, mit denen sich Jugendliche gut identifizieren können. Geschildert wurde der mühsam erkämpfte Wechsel in der Realschule, dann ins Gymnasium, die Trennung der Zwillingsbrüder in zwei Klassen. Düster war die Szene vor Gericht zwei Jahre später, als der Richter den Asylantrag ablehnte, obwohl die Mutter in der Ausbildung zur Krankenschwester war, die Brüder erfolgreich die Schule besuchten. Es war die Änderung des Asylrechts, die ihnen schließlich das Bleiben in Deutschland ermöglichte.
Die Jugendlichen hatten aufmerksam zugehört und stellten Fragen, die ihrer eigenen Lebenswelt entsprachen: Was aus dem Vater der Familie geworden sei? Ob noch Kontakt zu ihren einstigen Schulfreunden im Iran bestehe, und ob sie wieder zum Besuch in ihrer alten Heimat gewesen seien?
Bei der Lesung am Abend im Johannes Pistorius-Haus vor etwa 70 Besuchern zeigte sich noch deutlicher: Flucht und Neuanfang zerstören zwischenmenschliche Bindungen. Schwierig ist die Phase "zwischen den Stühlen". Tragfähige neue Beziehungen aufzubauen, kostet Kraft und gelingt nur, wenn beide Seiten - Geflüchtete wie Bürger des Aufnahmelandes - sich im Dialog aufeinander zu bewegen.
Eine ausführliche Diskussion schloss sich an. Konkrete biografische Fragen wurden gestellt, auch nach der beruflichen Position der drei Brüder, die sich nach ihrem Studium aufgebaut haben. Sie betreiben ein Informatik-Start-up-Unternehmen. Deutlich wurde, dass seit ihrer eigenen Flucht in den 90er-Jahren und insbesondere seit 2015 erheblich mehr konstruktive Hilfen wie Sprachkurse und berufliche Eingliederungsprogramme für Flüchtlinge entwickelt wurden. Was noch verbessert werden müsste? "Dolmetscher, die tatsächlich die Heimatsprache der Flüchtlinge beherrschen, im Aufnahmegespräch, verkürzte Entscheidung, ob Asyl gewährt wird und Hilfen beim Aufbau der neuen Existenz", so die beiden Autoren.
„Filigranes Spiel und Krach“ bot das Benefizkonzert für Niddas Stadtbibliothek
Die Baglama-Gruppe Nidda und die Band „Faltenrock“ spielten zugunsten des Fördervereins der Stadtbibliothek Nidda.
Wussten das Publikum des Benefizkonzertes mit ihrem „Krach“ zu begeistern: die „Faltenrocker“ (von links) Klaus Friedrich, Wolfgang Müller, Christoph Hössl und Wilfried Müller (verdeckt am Schlagzeug) sowie Olaf Thurau, der für den verhinderten Wilfried Abt eingesprungen war.Foto: Maresch
WALLERNHAUSEN - (em). Der Förderverein Stadtbibliothek ist zwar noch ein junger Verein, aber dafür sehr rührig. „Wir haben unseren Förderverein 2016 gegründet und jetzt immerhin 55 Mitglieder“, erläuterte der Vorsitzende Lothar Schelenz im Bürgerhaus Wallernhausen. Dort fand das jüngste Projekt des Vereins statt: ein Benefizkonzert zugunsten der Stadtbücherei.
Schelenz freute sich, dass viele Besucher gekommen waren, um die beiden muszierenden Gruppen zu erleben und gleichzeitig einen Beitrag für das Gemeinwesen zu leisten.
Zunächst werde „die Tür nach Anatolien einen Spalt geöffnet“, kündigte Schelenz an, mit Liedern gespielt von der Baglama-Gruppe Nidda. „Handgemachte Musik“ der in Nidda bekannten Gruppe „Faltenrock“ werde dann folgen.
Die türkischen Instrumente der Baglama-Gruppe sind Lauten, ähneln im Aussehen Mandolinen, haben aber einen weit längeren Hals. Für die fünf Musiker der Gruppe, die schon lange in Nidda leben, ist diese Musik ein Stück Heimat. Sie freuen sich, dass sie im Jugendzentrum der Stadt einen Raum für die Übungsstunden nutzen können. Die Gruppe, bestehend aus Ceymur Yilmaz, Destan Arslan, Ferat Egilmez, Muharrem Salman und dem Trommler Müslüm Arslan, bescherte mit ihrem Spiel eine echte Überraschung. Filigrane Klänge von ungewohnter, aber ansprechender Melodik waren zu hören, zum Teil begleitet mit Gesang. „Lieder von Liebe, Treue, Wertschätzung“ hatte der Sprecher Muharrem Salman eingangs angekündigt. So waren sie auch unterschiedlich in ihrer Expressivität: ein zartes Liebeslied stand neben einer rhythmusbetonten, kräftiger akzentuierten Ballade, dem langsamen Schreittanz folgte eine rasche, lebhafte Melodie. Das begeisterte Publikum klatschte so lange, bis eine Zugabe folgte.
Seit 1992 spielen die „Faltenrocker“ Beat-, Rock- und Popmusik der 50er- bis 80er-Jahre. Die Band trat schon bei Festen in der Region auf, feierte ihr 20-jähriges Bestehen mit einem hinreißenden Abend im Kursaal von Bad Salzhausen. Derzeit besteht „Faltenrock“ aus Christoph Hössl (Sologitarre), Winfried Müller (Schlagzeug, Gesang), Wolfgang Müller (Gitarre, Gesang), Klaus Friedrich (Gitarre) und Wilfried Abt (Bass und Gesang). Letzterer war an diesem Abend verhindert und wurde von Olaf Thurau vertreten. Dieser, sonst als Singer-Songwriter mit „Dolphins & Stars“ unterwegs, erwies sich einmal mehr als talentierter Bassist, fügte etwa bei „Dead Flowers“ und „It´s all over now“ von den Rolling Stones elektrisierende Bassvariationen ein, die den Zusammenhalt der Gruppe noch steigerten.
Die bekannten Oldie-Titel, die „Faltenrock“ wählte, haben ihre Attraktivität für das Publikum nicht verloren. „Zu diesen Liedern haben wir nächtelang getanzt“, sagte eine Besucherin hingerissen. „Die Baglamas haben filigran gespielt, wir machen Krach“, hatte Christoph Hössl eingangs verschmitzt angekündigt, zeigte aber mit seinen Soli gleich bei „Rise and fall of Flingel Blunt“ von den Shadows, später bei „Apache“, dass es sich zwar um eine rockig-raue, aber sehr eingängige Art von „Krach“ handelt. Von Titel zu Titel waren „Faltenrock“ mehr im Einklang mit den Zuhörern, die oft die Refrains mitsangen oder -klatschten. Nostalgische Begeisterung kam etwa auf bei Buddy Hollys „It´s so easy to fall in love“, bei Tom Pettys temperamentvoll-rebellischem „I won´t back down“ mit den solistischen Gitarrenpassagen von Wolfgang Müller. Der hat offensichtlich die Stimme für Rock-Titel, sprach in der Pause von seinem Spaß „zwischen Singen und Gefühle rauslassen“. Und so spielte „Faltenrock“ Unvergessenes und immer noch Faszinierendes von den Beatles, Stones, Shadows, Bee Gees, Searchers und anderen bekannten Bands mehr, brachte das Publikum mit „Satisfaction“ zum Toben und lockte etliche Besucher auf die Tanzfläche.
Lothar Schelenz zog Bilanz: „Die Stimmung war locker, erfreulich. Wir konnten an diesem Abend gute Einnahmen für die Stadtbibliothek erreichen. Aber wir hatten vor allem Mitglieder und Freunde der Stadtbibliothek zu Gast. Wir hoffen, künftig noch mehr die junge Generation einbeziehen zu können.“
Quelle: Kreisanzeiger 27.09.2018